Über Jasminblüten und Anfängerfehler

10.08.2019

Seit etwas mehr als einer Woche bin ich jetzt in der Loyola Higher Secondary School in Kuppayanallur. Ich bin zu einer guten Zeit angekommen und praktisch mitten in ein Fest hinein geplatzt, was sie hier „function“ nennen. Zum einen wurde das 25 jährige Bestehen der Schule als erste Einrichtung der Chennai Mission gefeiert und zum anderen das Fest von Ignatius von Loyola, dem Gründervater der Jesuiten. War erst mal überwältigend, wurde ein wenig herumgeführt und dann neben den ganzen Fathers auf der Tribüne platziert, groß vorgestellt und gewürdigt. Es waren so viele Gesichter, Farben und Dinge, die man einfach nicht verstand. Insgesamt war es aber ein sehr schöner erster Eindruck. Ich weiß nicht ganz, ob sie mich zuerst in einem der Gästezimmer ausruhen lassen wollten oder nicht, abends kam ich dann jedenfalls in das Gracy Illam Hostel und wurde gleich von allen Seiten umringt. Ich wurde praktisch in das Zimmer geführt, das noch mit „Samira`s Room“ beschriftet war. Und genau so ist hier auch alles noch ein wenig. Die Mädchen, es sind 32 glaube ich und von 10 bis 17 ist alles dabei, sind zwar mir gegenüber groß teils neugierig, manche schüchterner, aber für mich, für den alles noch total neu ist, sind manche Sachen einfach noch schwierig. Als Deutsche empfand ich es als sehr übergriffig, als die Mädchen meine Sachen auspackten und alles (aber auch wirklich alles) sorgfältig begutachteten und anschauten und dann auch unangenehm überrascht waren (Fotos von mir und Freundinnen in Bikini beispielsweise).

Oder die Sache mit dem Fenster zum Gang, das man nämlich nur da aufmachen kann und ich nicht wirklich Macht darüber habe, welche der Mädchen wann in mein Zimmer schaut.

Auch in meinem Zimmer selber muss ich mich noch einleben und es ein wenig zu meinem Refugium machen. Die Wände sind noch kahl und ich muss das Zimmer ein wenig dem öffentlichen Zugang (der Mädchen) entziehen.

Und hier der Blick aus meinem anderen Fenster:)

Ich hab mit der Handwäsche zwar noch keine Schwierigkeiten, was es allerdings nicht gerade einfach macht ist, dass ich mir in Chennai nur zwei Chudidars gekauft habe, die ich abwechselnd und verschiedensten Kombinationen auch bisher jeden Tag getragen habe. Abgesehen davon, dass die Tamilen, wie ich es mitbekommen habe, auch sehr großen Wert auf ihre Kleidung legen, find auch ich es irgendwann langweilig immer nur dasselbe zu tragen, da ich doch die Auswahl eines großen Schrankes gewohnt bin. Ich habe außerdem verstanden was für ein Privileg es ist, sich keine Sorgen machen zu müssen, was andere von einem denken nur basierend auf dem Äußeren, der Kleidung. Eines Morgens hab ich statt wie gewohnt einem der beiden Chudidar eine Stoffehose, eine Bluse und da diese Ausschnitt hat auch einen Schal angezogen und sah praktisch aus wie eine Vogelscheuche. Die Augen derjenigen, denen ich begegnet bin, sagten dann auch schon alles…

Ich bin nach Indien gegangen mit dem Gedanken ein einfaches, reduziertes Leben führen zu wollen unter anderem. Dass Südindien zumindest der falsche Ort dafür ist, habe spätestens dann verstanden, als man mich fragte (und das jetzt schon öfter): you`re a simple girl, aren`t you? Die südindische Kultur legt vor allem bei Frauen großen Wert aufs Aussehen, auf Schmuck von Ohrringen bis Jasminblüten im Haar bis silbernen Fußkettchen, Henna und Bhindi und auf Kleidung, die meist aus krassesten Farbkombinationen bestehenden Saris. Ich, ohne Ohrloch, Sinn für Nagellack und klingelnden Schmuck bin da halt noch nicht ganz angekommen (und weiß auch nicht ganz ob und wie viel ich das möchte). An meinem „1. Schultag“ sicherte dann der Schulleiter und eine hilfsbereite Lehrerin mir Hilfe zu, sowohl beim Tamil lernen, aber vor allem beim Einführen in die tamilische Kultur.

Ein Bild mit den wahnsinnig schönen und gut riechenden Jasminblüten, die hier überhäuft in die Haare jeder Frau und jedes Mädchens gebunden werden.

Ja, das mit der Schule ist auch so eine Sache. Am Montag wurde ich am Morning Assembly groß vorgestellt, aber rechnete dann gar nicht damit, als Fr. Jerome, der Schulleiter, schon am nächsten Morgen mir zwei Stunden zuteilte. Also wirklich einstellen konnte ich mich dann auf den erste Tag vor einer Klasse stehend nicht und vorbereiten auch nicht. Dafür, dass ich improvisiert hab und teils keine Ahnung hatte, was ich als nächstes mache, muss ich sagen lief es eigentlich ganz gut. Die Idee ist jetzt, dass ich mich so lange eingewöhne, bis ich „confident enough“ bin, vor einer Klasse alleine zu stehen und dann würde ich Stunden im Fach ELT, das heißt English Language Teaching übernehmen und könnte Lieder, Gedichte, kleinere Theaterstücke usw. mit den Kindern der 6.-8- Klasse machen, also meiner Kreativität freien Lauf lassen. Die Schule hat außer dem Hostel für mich noch eine ganz neue Welt geöffnet. Die vielen Lehrer, Lehrerinnen in feinen Saris und Schüler in roten Uniformen, die mir immer mehr oder weniger zurückhaltend „Hi, Miss!“ zurufen.

Und ja, ich war bis zum letzten halben Jahr noch selber in der Schule und vermisse das Schüler sein nicht sonderlich, aber es funktioniert in Deutschland dann schon nochmal anders als hier. Die Klassen sind hier etwas größer, Mädchen und Jungen sitzen getrennt und es herrcht ein Geräuschpegel im Klassenzimmer (vor allem wenn ich da bin oder besonders, wenn sie mich nicht verstehen), der nur durch Lehrer herunter gebracht werden kann. Und diese Autorität verdanken die Lehrer vor allem der körperlichen Züchtigung durch Stock und Hand. Bei Zuspätkommen vom Rektor persönlich (der eigentlich ein sehr sympathischer Mensch ist aus meiner Sicht und mir, weil ich das manchmal sehr direkt mitbekomme, da er eigentlich mich zu einem Gespräch gebeten hat, mir auch die Fehltritte der Schüler erklärt, was fast wie eine Rechtfertigung rüber kommt), ansonsten auch während `meines´ Unterrichts oder im Hostel.

Es sind also sehr viele Sachen, mit denen ich noch nicht ganz klar komme, abgesehen davon, dass ich alleine an einem neuen, interessanten und vollen, bunten Ort gekommen bin, mit lauter freundlichen Menschen und faszinierend Begegnungen und Erlebnissen bin und auch das alles erst einmal verarbeiten muss… Diese neue Erfahrung, dass man nicht weiß, wie man sich verhalten soll oder gar an welchem Punkt man in ein oder zwei Monaten steht, hat mich zu Beginn total verunsichert. Ja, ich bin hier als einzige anders, als einzige neu und habe mit den Erwartungen auf beiden Fronten zu kämpfen (das heißt von anderen an mich und auch mit meinen eigenen), aber es wird von Tag zu Tag etwas besser. Was mir sehr geholfen hat, ist der Gedanke oder auch die Übung, von mir selbst auf andere zu schauen. Von meinen Fehlern, meinen Mängel auf die ganzen Einzelheiten der südindischen Kultur, die mir in ihrer Fülle auch noch gar nicht bewusst sein können. Und so werde ich versuchen zu leben.

Nach Russel: „ […] open wide the windows of your mind.” ,dessen Buch conquest of happiness eben genau dies begründet (und womit ich meine Freizeit verbringe).

Für das Universum spielt es keine Rolle, was ich, Hannah, alles schon falsch gemacht habe. Umso glücklicher darf ich sein, diese Vielfalt des Universums, die eben besonders, finde ich, in der indischen Kultur hervor kommt, zu erleben. Außerdem gehören die Fehler und auch Schwierigkeiten einfach dazu. „The man who usually makes no mistakes, does usually makes no anything.“ (ein Spruch von Edward Phelps, entdeckt am Campus des Loyola Colleges)

Und jetzt, nach den existenziellen Problemchen noch eine kleine Auswahl, der vielen schönen Momente:

Father Samy, der mir extra Mangos vorbei bringen gelassen hat. (Mein Schatz, der leider durch mangelnde PC-Fachkenntnisse umgedreht bleibt)

Eines der Mädchen, das mir erklärt, dass ich nicht traurig sein darf, weil ich doch sie als ihre `amma´ (Mama) trösten muss. Eines der Mädchen, dass mich als ihre `akka´ (große Schwester) zu sich nach Hause eingeladen hat (was ich leider nicht annehmen konnte). Gestern, als aus dem Hostel sind nur noch fünf Mädchen übrig geblieben (es ist irgendein Feiertag und alle anderen wurden erfolgreich von ihren Familien abgeholt) und ich neben ihnen zusammen im Schlafsaal geschlafen habe.

Der Blick von der Dachterrasse.

Die eine Lehrerin, die mir extra Armreifen und Jasminblumen für die Haare mitbrachte, damit ich mich auch genügend mit der Kultur beschäftige. Der Game of thrones-Klingelton des einen Brothers, mitten im Abendessen. Die Schüler einer 6.Klasse, die nach dem wir gemeinsam einen action song gut gelernt haben, mich freudig mit Fragen umringten. Als zwei Lehrerinnen mich nach Uthiramerur mitnahmen und wir letztendlich bei einer älteren Frau den süßen Tee getrunken haben und sie mich in ihr Herz schloss, obwohl ich mich komplett blamiert habe.

Und… wofür ich aber auch erst langsam ein Auge haben kann ist die überwältigende Lebensweise der Inder, sei es in den Dörfern mit den Obst-, Gemüse- und Blumenständen, in den überfüllten Bussen und Zügen, in Chennai und dass ich nicht mehr nur außen stehe und zuschaue, sondern immer tiefer hinein tauchen kann.

Also, vielen Dank fürs lesen und ich freu mich sehr von euch zu hören!

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