Brückenmenschen

09.04.2020

Die Hände zusammenfalten, ein Lächeln und eine leichte Verneigung vor dem Gegenüber mit Abstand. Eine Geste, an die ich mich so gewöhnt habe und die ich in Deutschland lustigerweise jetzt tatsächlich auch schon öfter gesehen habe. Eine sehr indische Form des Corona-Grußes… Genauso habe ich mich aber auch an das leichte Kopfschütteln gewöhnt, mit dem man so viel ohne Worte ausdrücken kann oder das Interesse dafür, was der Gegenüber gegessen hat. Des öfteren muss ich dem Drang widerstehen, Leute danach zu fragen, ob und was sie gegessen haben. Dass das eben jene irritiert, muss ich glaub ich nicht erwähnen. 

Aber was soll man machen, diese Situation ist wirklich außergewöhnlich. Innerhalb von drei Tagen aus seinem Leben, in dem ich wirklich Hals über Kopf drinsteckte, heraus gerissen zu werden und in eine andere, vertraute Welt zu kommen, in der die Zeit stehen geblieben ist. Und jetzt hier, wo jeder irgendwie auch noch gefangen ist und alles andere als Normalität herrscht. Wo ich Geduld haben musste und immer noch muss, bis mein Kopf auch vollständig angekommen ist und alles irgendwie realisiert ist. Und damit zu meinem ersten Blog wieder richtig aus München, Deutschland und der Welt, die ihr alle vermutlich in seiner Absurdität mit mir teilt. 

Und obwohl unsere Wohnung, unser Innenhof, der Balkon, die Straßen drum herum, der Olympiapark und der Englische Garten noch genau so sind wie davor, hat sich für mich viel verändert. Ich habe, eigentlich genau, wie ich es mir erhofft habe, einen anderen Blick auf mein Zuhause und unsere Gesellschaft bekommen, der sogar so weit führt, dass ich mich nicht mehr unbedingt Teil dieses Ganzen fühle. Weil ich Dinge erlebt habe, die teils nicht einfach waren, an denen ich gewachsen bin, die wunderschön waren und die gefühlt nicht unbedingt in diesen Kontext passen. Und auch durch das Zurückkommen lerne ich wieder mehr, weil mir vieles bewusst wird und mit wachsendem Abstand zu meinem Einsatz ich auch immer dankbarer werde. Vielleicht liegt das an dem weichenden Druck, den ich mir ja doch gemacht habe oder keine Ahnung an was genau, jedenfalls habe ich so unglaublich viel mitgenommen. Und jetzt wo ich mehr Zeit habe und nicht mehr so viel „erlebe“, wie dort, kann ich mich auch Themen aus Indien widmen, die mich immer noch beschäftigen. Ich finde, das sind Gründe diesen Blog aufrecht zu erhalten, solange wie ich etwas zu erzählen habe. 

In unserem Zwischenseminar haben wir von dem Wort „Brückenmensch“ gehört. Ein Mensch, der zwei Lebensrealitäten irgendwie verbindet, der seine Erfahrungen von der einen in die andere Welt trägt und in beiden auf irgendeine Art ist. Wenn ich das irgendwie schaffe oder schon geschafft habe, wäre ich sehr glücklich und dieser Blog ist ja eine sehr schöne Plattform dafür, finde ich.

Unsere Gesellschaft ist so sehr auf die Mini-Universen jedes einzelnen Menschen ausgerichtet. Individualität ist eine Ideologie, nach der auch Supermärkte und jeder Bereich im Leben sich richtet. Das ist zuerst etwas sehr Gutes, weil eben jeder und dessen Freiheiten geachtet werden. Freiheiten, wie selber Entscheidungen zu treffen, Bewegungsfreiheit und vieles mehr. Leider vergessen wir, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern ein sehr großes Privileg und dies eben auch auf Kosten von anderen geht. Globalisierung ist eben aktuell noch sehr ungerecht und führt zu einem immer reicheren „geografischen Norden“ aka „die westliche Welt“ und einem tendenziell ärmeren „Süden“. Produktionsketten, Tourismus oder Plastikverbrauch der kleinen Ein-Personen Einwegpackungen an Humus, Käse oder Schinkenscheiben. Vieles davon und im Prinzip auch unser ganzer Wohlstand basiert darauf, dass einiges im globalen Markt nicht ganz fair abläuft. Aber ich erzähle da ja nichts Neues… Es ist nur so, dass ich eigentlich nicht verstehen kann, nach meiner Zeit in Indien, warum. Warum Menschen, die vielleicht davon gehört haben, sich letztendlich nicht wirklich darum kümmern, warum sie weghören und sich trotzdem über Gott und die Welt beschweren. So viele unserer Probleme und die der ganzen Welt kommen daher, dass sich unsere Universen nur um unsere ganz persönlichen Sonnen drehen. Es ist halt am Ende des Tages wirklich angenehmer wegzuschauen, als das gesamte Ausmaß unseres Handelns, das so weit weg zu sein scheint, wahrzunehmen.

Und auch in der Lage jetzt kann ich den Missmut vieler Menschen nicht ganz nachvollziehen. Keine Frage, es gibt gefährdete Existenzen oder wirkliche Unglücksfälle, aber viele unserer Probleme sind oft nichts weiter als Unannehmlichkeiten, die Selbstverwirklichungsträume oder auch andere wichtige Pläne durchkreuzen. Viele von uns haben eine große Wohnung, in der manche fast spazieren gehen können und dürfen sogar das Haus für Sport oder so verlassen. Ganz ungeachtet davon, wie gerechtfertigt viele Maßnahmen sind, in vielen Ländern ist die Realität einfach so, dass Corona eine Katastrophe bedeutet, vor allem für die Ärmsten der Armen. Für die, für die das Gesundheitssystem nicht zu erreichen ist oder die ihren Lebensunterhalt verlieren.

Auch wenn das nicht nur für Indien gilt, bekomme ich das dort doch am meisten mit. Zum einen bedeutet Ausgangssperre, dass was man sich eigentlich darunter vorstellt. Nicht in der Sonne auf Sicherheitsabstand einen Freund treffen, sondern eingesperrt in vier Wänden, die für viel mehr Leute oft nur aus einem Zimmer bestehen. Besonders auf dem Land findet das Leben außerhalb des Hauses statt, denn zu siebt auf zehn Quadratmetern wird man sehr schnell verrückt. Und auch angesichts der politischen Spannungen führt Corona in Indien vermehrt zu Hassreaktionen. Anscheinend wurde auch schon ein Sündenbock von, teils auch der hindu-nationalistischen Regierung, gefunden. Corona sei anscheinend eine muslimische Verschwörung. Und das in dem Kontext, dass ein neues Gesetz, das CAA (Citizen Amendment Act) nicht einem säkularen Staat entspricht, weil es strukturell Muslime diskriminiert, indem es ihnen das Bürgerrecht entzieht. 

Der Corona-Virus hat aber inzwischen auch das tamilische Land erreicht. Ein befreundeter Father aus Ranipet meinte, die meisten Menschen werden nicht an Corona direkt sterben, sondern indirekt an Armut, Hunger, eben fehlendem Einkommen. Und auch in einem interessanten Artikel in der SZ wurde von Arbeitern berichtet, die sich lieber infizieren würden, als untätig ihre Familie verhungern zu lassen. Aber eine wirkliche Wahl haben sie nicht. Durch diese rigide Ausgangssperre können viele nicht zu Arbeit gehen und viele, nicht nur Tagelöhner. Selbst Lehrerinnen aus meiner Schule sind auf ihren Monatslohn angewiesen, um den Familien-Einkauf zu machen. Und wer ausbricht und von der Polizei aufgegriffen wird, wird brutalst gezüchtigt.

In dieser Zeit hört man hier das Wort Solidarität sehr oft. Und eben vor allem im globalen Vergleich ist sie eben gerade jetzt echt nötig. Ich würde gerne für unser Spendenkonto werben bzw. allgemein die Projekte, die die Jesuitenmission unterstützt, da die Wahnsinns-Arbeit vieler Projektpartner, auch aus den Projekten, in denen wir waren, ihre Arbeit anders nicht finanzieren können. 

Entweder über https://www.jesuitenmission.de/ oder

Empfänger: Jesuitenmission

IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 (Liga Bank)

BIC: GENO DEF1 Mo5

Verwendungszweck: X38000 JV

Es sind so viele Dinge, die mir gerade durch den Kopf gehen, weil ich erst mal mit mir ausmachen muss, wie viel ich eigentlich mit nach Hause nehme. In den acht Monaten hatte ich eine wahnsinnige Zeit, die nicht nur einfach war, aber von der eben vor allem Geschenke übrigbleiben. Und jetzt empfinde ich vor allem eine große Dankbarkeit für all die materiellen und immateriellen Dinge, die ich jetzt in mir und um mich habe. Die wirkliche Einzigartigkeit der Erinnerungen, Erlebnisse und Begegnungen. Die Sachen, die ich gelernt habe und an denen ich gewachsen bin. Meine Welt und auch mein Herz sind irgendwie ein Stück größer geworden.

Um die Zeit, die wir gerade haben, zu nutzen, ein bisschen in die indische Welt abzutauchen, habe ich ein paar Dinge gesammelt, die dafür sehr helfen:

  1. Filme. Dieser wirklich wichtige Punkt der indischen Kultur. Und viele indische Sprachen haben ja auch ihre eigene Kinokultur (Bollywood, Tollywood und Kollywood,…). Ich habe ein tolles Päckchen erhalten mit lauter wahnsinnig guten Filmen wie Swades, The Lunchbox oder Bangalore Days. Wirklich wichtige Themen und Problematiken von Indien mit viel viel Kultur, Farben und Gefühlen. Falls ihr euch mal ein paar Tamil (also Kollywood) Klassiker sehen wollt, könnt ihr hier mal rein schauen: 

https://youtu.be/cAf3Sa8I_0U (Thalapathi von Rajinikanth)

https://youtu.be/TJQGK5ANA8A (Nayagan von Kamal Hassan)

  • Das Zweite ist Musik. Auch die spielt ja eine große Rolle. Und ja, ich hätte nie gedacht, dass ich fast ausschließlich diese für europäischen Ohren gewöhnungsbedürftige Musik hören werde, aber das hat sich bislang nicht geändert. 

Wenn euch eine bunte Mischung aus Tamil Oldies, neuen Lieder und auch ein bisschen Hindi oder devotional songs interessiert, schaut gerne auf Spotify vorbei: https://open.spotify.com/playlist/3IVdWaNtlM6b2fzE3gnq6s?si=9D9UQyONTfOL_AsJfrAjFA (Zwischen Palmen und Reisfeldern)

  • Und zuletzt das Essen. Indisches Essen kennen die meisten ja eh, doch wenn es sich um Naan, Tandoori oder Daal handelt, ist es meistens aus dem Norden und nicht das Essen, das ich kennen und lieben gelernt habe. Trotzdem kochen, und sich durch Rezepte und Gerüche wühlen, ist sehr schön. Letztens habe ich sogar Samosas gemacht. Einfache Rezepte für Dosai, Chutney, Sambar oder Kuzhampu gibt’s im Internet, aber Zutaten sind nicht immer leicht aufzutreiben.

Nur ein kleiner Teil… Aber etwas, dass hier da ist und einen ein bisschen tröstet, wenn man es so sagen kann. Ich freu mich wie immer auf Rückmeldung jeglicher Art, neue Tipps oder einfach von euch zu hören. Es ist ein bisschen seltsam hier zu sein und vielen Leuten nicht richtig Hallo sagen zu können. Fühlt euch gedrückt und mit einem gefalteten Hand-Corona-Gruß aus der Nähe, Bis bald, Eure Hannah.

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