Von Horkruxen und anderen Zaubern pt.1

04.10.2019

Was haben Voldemort und ich gemeinsam? Okay, die Frage bietet es an, sich über mich lustig zu machen, aber mir kam in den letzten beiden Wochen, die für mich sehr intensiv, unbeschreiblich und schön waren, ein Gedanke, den ich gern genauer erkläre. Der letztliche größte, mächtigste (dort aber auch dunkle) Zauber, der Voldemort am Leben hält und der auch Harry das Leben rettet (allerdings eher unbeabsichtigt) ist der des Horkruxes. Das ist –für alle Nicht-Harry Potter-Besessenen- ein Zauber, in dem man einen Teil seiner Seele in einem Gegenstand einsperrt und damit unsterblich macht. Und in einem sehr positiven Sinne habe ich das auch gemacht. Durch den Zauber von Leuten, Erlebnissen und positiven Gefühlen habe ich mich in Orte und die Menschen dort verliebt und einen Teil von mir dort gelasssen.

Ich hatte verlängerte Quarterly-Leave (das zweite Viertel des Schuljahrs ist vorbei) und konnte dank meinem Mentor ein bisschen rumkommen. Nicht weit, sondern „nur“ in die angrenzenden Distrikte Tiruvannamalei und Villupuram in Tamil Nadu. Und dabei habe ich unglaublich viel gelernt. Ich war dabei in Chennai und anderen Projekten der Jesuit Chennai Mission (die bald eine eigene Jesuitenprovinz wird), das heißt Kilpennathur, Dindiwanam und Vettavalam. Für mein Verständnis von Indien, der Gesellschaft und die Probleme hier, aber auch die Arbeit der Jesuiten hier hat mir das sehr viel gebracht, inklusive unglaublicher und prägender Erfahrungen und Begegnungen, die wenn ich sie jetzt erzähle tatsächlich wie Traumbilder klingen.

Es begann damit, endlich mal wieder unter Leuten zu sein in Chennai.

T.Nagar, der Rummelplatz

ein spontaner Tempelbesuch in einem Shiva-Tempel

und dem indischen Shoppen mit einer Sekretärin, die mir da sehr geholfen hat. Dazu kamen die Ovations am Loyola College Campus (ein kulturelles Programm), bei dem anscheinend nicht wenige Prominente Tamil-Berühmtheiten zugegen waren und eine Essenseinladung mit ein paar der Jesuiten am Abend in einem feineren Restaurant. Ich habe alte (ein paar der Studenten aus dem rural exposure camp) und neue Gesichter kennen gelernt (Sofia, eine Freiwillige der Franziskaner und viele Fathers) und mich dabei angefangen in diesem indischen Chaos zu verlieren.

Am nächsten Tag dann noch mehr. Es war der Tag der zwei Messen und des verdrehten Essens. Die erste Messe, es war Sonntag, fand in der Ascencion Church in Chennai statt und war erstaunlich schön. Als Ministrantin hatte ich schon einige mitgemacht, aber im Vergleich zur Kirche hier (zugegebenermaßen versteh ich hier kaum etwas) sind diese in Deutschland oft etwas verstaubt. Allein schon wenn man hier in die Kirche geht, die eher eine nicht sonderlich große holzgetäfelte, Ventilator-gefüllte Halle ist mit unglaublich vielen bunten, glücklichen Menschen (Frauen auf der einen Seite in ihren Sonntags-Sarees), aber auch während dem Gottesdienst in Form der Stimmung und Musik. Im Anschluss dazu fand die Taufe der Nichte meines Mentors, Father Vasanth, statt, der mir so ziemlich alles hier organisiert hat und wo ich dann dabei sein konnte. Nach einem zweiten Frühstück haben wir auch noch seine Familie hier in ihrer kleinen Wohnung besucht, ein drittes Frühstück gegessen (Zu Gast kann man hier oft nicht nein sagen und zu Biryani sowieso nicht) und die Gegend, das Haus und die Fahrt hinten auf dem Motorrad durch Chennai (auf der Rückfahrt durch „heavy rains“) waren für mich sehr eindrucksvoll. Dank Vasanth lerne ich, mir nicht zu viele Sorgen zu machen und auf die Zukunft zu vertrauen und auch Geduld zu haben, jedenfalls was meine Tagesplanung betrifft. Teilweise hatte ich keine Ahnung wo wir wie hinkommen und wer gerade was sagt, aber er hat mir das ganz schön leicht gemacht, weil alles so viel und spannend war und ich die Sachen gerne auf mich zukommen habe lassen. Ich habe ja mal erzählt, dass das Reisen, Motorradfahren ganz zu schweigen etwas schwierig in der Gesellschaft aufgenommen wird, lustigerweise ist das mit Vasanth kein Problem, er hat mich schließlich in Zug und Bus nach Dindiwanam (Kaffeepause) und dann Kilpennathur gebracht. Und abends gab es dann die zweite Messe an diesem Tag, zu der wir durch die Sonnenuntergang-beleuchtete indische grüne Landschaft fuhren und mitten auf dem Land in der Pampa an einer kleinen Kirche ankamen. Vor ihr war ein kleiner Pavillon aufgebaut und alles war bunt und beleuchtet (ich glaube es war ein Fest der Jungfrau Maria, hier Velankanni, aber ganz hab ich es nicht verstanden). Die Leute, aber vor allem die Kinder (Jungs aus dem Jungshostel) haben mich zunächst alle begutachtet, schließlich kamen wir zu spät und für sie sind Ausländer tatsächlich etwas ganz besonderes. Nach dem Gottesdienst, der von etwa 10 Jesuiten gefeiert wurde (auf die höchstens 40 Leute kamen) wurden alle Anwesenden geehrt

und auch ich bekam, typischerweise, das Handtuch umgelegt.

Als wir nach Kilpennathur fuhren, dachte ich, der Tag sei vorbei und war auf Grund der ganzen Aufmerksamkeit und Magenkrummelns ganz glücklich darüber. Das Beste allerdings kam noch. Die Jesuiten hatten „Dinner“, was man auch mit Jesuitenparty übersetzen kann und ich wurde Teil davon, als einzige weibliche Person um einen Tisch mit eben jenen Fathers und Brothers. Und die Anfangsfrage nach welchem alkoholischen (!) Getränk ich denn greife habe ich zunächst als Witz über die deutsche Trinkkultur aufgefasst und dabei jene braunen, grünen und weißen Flaschen am „Buffet“ übersehen… Eine sehr interessante Erfahrung, die auch nicht die letzte in dieser Hinsicht sein sollte. Außerdem war dementsprechend am nächsten Tag wenig los bei den Jesuiten, bis gegen Mittag mein Mentor an meine Zimmertür klopfte (zu dem Zeitpunkt saß ich in der Küche und habe mich mit der Köchin angefreundet) und sich bei mir beschwerte, dass er Kopfschmerzen habe.

Die Tage, die darauf folgten, haben mich verändert. Ich habe unglaublich viel gelernt und außerdem begriffen, dass vieles nicht an mir liegt, von dem was falsch, aber auch von dem was gut läuft. Ich habe mich ein bisschen in den Menschen und dem Ort verloren und mein Herz ein wenig dort gelassen. Ich kam mit einem Hoch der indischen Kultur an diesen Ort, aber auch meinen Sorgen und Vorstellungen von mir und allen anderen und bin dort tatsächlich irgendwie angekommen. Zunächst einmal habe ich wieder ein exposure programm der Studenten aus Chennai mitgemacht, diesmal aber richtig und viel intensiver. Wir hatten Sachsessions, wo endlich mal Klartext über indische Gesellschaft, soziale Lage und vor allem auch das Kastensystem geredet wurde, Diskussionen, aber auch zwei Village-Besuche pro Tag, wo wir in Trucks („Kutti janay“ auch „kleiner Elefant“ genannt) Stunden stehend hingefahren sind mit einem „cultural programme“ am Abend.

Den Rest des Tages war ich jede freie Minute beschäftigt mit den Jungs und Mädchen der „cultural programme group“, die in ihren Schulferien in dem Ahal centre dort traditionelle Tänze üben und diese an die Leute in den Dörfern bringen (die langsam ihre alte Kultur vergessen/verdrängt haben).

Hier beim Zuschauen neben den Mädchen der Ahal-Gruppe.

Das Kastensystem, über das ich ja schon einmal ein bisschen erzählt habe, vereinfacht im Prinzip das gesellschaftliche Zusammenleben der Indien, in dem es die Menschen determiniert auf Arbeit, gesellschaftliche Stellung und Heiraten, damit auch Verhalten und Lebensverhältnisse. Dadurch diskriminiert es vor allem Menschen, die davon außerhalb stehen, zum Teil, weil sie sich dagegen gewährt haben (viele der Dalits) und für die es sich zu emanzipieren praktisch unmöglich ist. Es gab in der Geschichte zwar die Dalit-Befreiungsbewegung mit Ambedkar und Versuchen sie durch Konvertieren aus der Klammer der hinduistischen Lehren hinaus zu führen, aber aktuell wird es anscheinend auch durch Modis Politik, die hindu-nationalistische Tendenzen aufweist und in weltweit in den Medien nicht wahrgenommen bzw. schön geredet wird, immer schlimmer. Es gibt zwar einen bedeutenden Unterschied zwischen Stadt und Land, aber jeder hier weiß seine Kastenzugehörigkeit und muss diese vorzeigen, sobald man sich für die Uni oder einen Job bewirbt. Und sie bestimmt das Heiraten, dass nur innerhalb einer Kaste erfolgt und bei allen durch Eltern arrangiert ist (zuverlässige Quelle: indische Studentinnen). Natürlich ist man da nicht ganz glücklich drüber. Das ist aber auch nicht das Einzige, was die Eltern bestimmen. Die meisten der anwärtigen Lehrerinnen (etwa 10 Studenten und 90 Mädchen) haben sich auch nicht selbst für diesen Studiengang entschieden, sondern es wurde für sie entschieden. Kein Wunder, dass manche der deutlich älteren Studentinnen, die auch teils zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich auf dem Land sind und mehr als zwei Tage ohne Eltern, etwas unreif und unselbstständig sind (mehrere hatten Heimweh) oder in ihrer Handy-Welt leben und selbst in den Dörfern blind und laut und unsensibel durch die Gegend touren.

Und gerne Selfies mögen (am liebsten mit mir).

In dem Sinne brech ich hier kurz ab und lass euch (ungern) in der Luft hängen. Ich wünsche schöne Zeit bis nächste Woche, wo der zweite Teil folgt, der auf Grund der vielen Geschichten und Fotos nötig ist… Von euch zu hören freut mich immer sehr! Ich hoffe euch geht es gut:)

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