„The way you go is the best way“

03.09.2019

Langsam kann ich sagen, dass ich in Indien lebe. An Vieles habe ich mich inzwischen gewöhnt, viele Herausforderungen überwunden und mein Leben hat langsam einen Rhythmus bekommen, der mir ein bisschen Sicherheit gibt und den ich vorsichtig Alltag nennen würde. Früher habe ich Alltag immer als etwas Negatives gesehen, als Langeweile und Monotonie, doch die ersten Tage und Wochen hier waren so intensiv, dass man das auf Dauer einfach nicht aushält. Da mir aber (und da hab ich jetzt mal herausgefunden, dass das ziemlich typisch ist für südindische Jesuiten) niemand sagt, was meine Pflichten sind und wann, wie, wo ich sein muss, hängt mein Leben noch ziemlich in der Luft. Und so schnell wird sich das auch nicht ändern. Richtig unterrichten werde ich wohl erst nächsten Term (der jetzt dann bald beginnt), dafür war ich in letzter Zeit viel mit einer kleineren Gruppe 7.Klässler beschäftigt einen Prayer-Song (Wer als Maxler erinnert sich an We are marching in the light of god?) einzuüben für das ELT (English Language Teaching-Assembly) letzten Freitag, was auch ganz gut geklappt hat.

Hier die Sing-Jungs kurz vor dem Auftritt:)

Ich habe mich aber inzwischen daran gewöhnt drei Mal am Tag warm zu essen zusammen mit den Jesuiten im Father´s House und der Sister (wenn sie mal da ist und nicht zu spät kommt). Ich bekomme jetzt im Prinzip jeden Tag Tamil-Unterricht von der Sister (die Schrift kann ich schon lesen), mit der ich mich eigentlich ganz gut verstehe und immer Halma spiele. Auch in die Küche schaue ich öfter und werde mit Aufgaben wie Papaya schälen und Koriander hacken betraut, während ich immer bisschen mehr indischer Küche nähere. Das Essen hat ja hier gesellschaftlich eine hohe Stellung. Damit meine ich nicht das gemeinsame Essen, denn das gibt’s hier so einfach nicht, es ist mehr ein Kommen und Gehen und ist schon paar Mal passiert, dass ich alleine in der Refectory (Esszimmer) saß. Nein, es ist das Essen an sich. Statt bei der Begrüßung zu fragen, wie es einem geht, fragt man hier, was man, beziehungsweise ob man schon gegessen hat. Eigentlich praktisch, dann muss man nicht noch ein Small Talk Thema suchen. „Eat well!“, ist außerdem einer der Sätze aus der Kategorie „Take rest!“, den ich also immer wieder zu hören bekomme. Viel Essen ist nämlich ein Zeichen von Gesundheit (auch in Richtung Verdauung) und Wohlfühlen (es ist ja tatsächlich so, dass man daheim mehr isst, als in der Fremde). Abgesehen davon, dass auch im Prinzip jedes Lebensmittel eine gesundheitliche Funktion erfüllt, wie ein Father mir mal sagte: „Better food as medicine, than medicine as food“. Aber dazu irgendwann anders, ich kenne mich noch nicht gut genug aus.

In letzter Zeit kam dann auch die Phase, wo ich einiges begonnen habe zu hinterfragen. Das indische Leben ist tatsächlich ohne Frage deutlich anders als das deutsche. Was mir hier fehlt und womit ich wirklich auch mental klar kommen lernen muss ist die Freiheit. Ich bin gewohnt in München aus dem Haus gehen zu könne im Prinzip egal um welche Uhrzeit und wohin und hier? Das Schulgelände kann ich schon mal gar nicht alleine verlassen und wenn dann brauche ich die Erlaubnis von einem der Fathers, wenn nicht dem Superior und eine Begleitung, die man auch erst mal kennen lernen muss (wobei ich da jetzt ein zwei Mal mit zwei Lehrerinnen gegangen bin). Auch auf dem Schulgelände an sich fühl ich mich nicht sonderlich frei und unbeobachtet und manchmal wird nicht nur abends sogar das Mädchen Hostel abgesperrt, damit niemand rausgeht. Es ist ein bisschen so, als bin ich von der großen weiten Welt, die ich ja auch kennen lernen wollte in die Enge eines kleinen Dorfes gekommen.

Der Blick über meine „kleine Welt“ vor dem Girls Hostel.

Zusätzlich ist da auch noch das Thema Sport. Im festen Alltag der Mädchen ist zwar eine Games Time verankert, die aber jetzt auch öfter ausgefallen ist, wenn der Warden beschließt, das eher Duty angesagt ist, aber Sport kann man das einfach nicht nennen. Ich gebe mein Bestes so oft es geht ein bisschen zu joggen oder sogar mit den Kleineren Fußball zu spielen, aber dazu fehlt oft einfach Motivation, Erlaubnis und der Platz. Es stimmt tatsächlich, manche der Mädchen sind keine Sportskanonen, aber wir dürfen auch einfach nicht immer joggen. Während der Study time in der Schule beispielsweise oder ohne Aufsicht. Und im Gegensatz zu den Jungen mit zwei großen Fußballfeldern haben die Mädchen auch nur den bisschen Platz vor dem Hostel und die Wiese, wo der Müll verbrannt wird. Ja. Es ist nicht nur so, dass ich gerne selber Sport machen würde, weil ich das für mich manchmal brauche, sondern ich empfinde es auch einfach als ungerecht und fühle mich dem machtlos gegenüber. Und setze mich selber unter Druck, etwas dagegen zu bewirken.

Und das ist auch schon das nächste Thema. Meine Wirkung hier. Die Auffassung von dem, was ich hier so mache, die hat sich innerhalb des ersten Monats doch rasch verändert. Ich ging nämlich fest davon aus, dass ich, sobald ich mal ein paar Tage hier bin, einen Stundenplan bekomme mit meiner Arbeit und ich mich dann innerhalb dessen entwickeln kann und am besten etwas auf die Beine stellen kann, das den Kindern was bringt und auf dass ich stolz bin. Etwas Greifbares und Vorzeigbares. Ich musste allerdings schmerzlich lernen, dass das nicht kommen wird. Auch nicht mit der Zeit, wie ich anfangs dachte. Stattdessen sind es aktuell die abstrakten Dinge, die zählen. Meine Anwesenheit, Aufmerksamkeit und mein Lächeln. Und kämpfe parallel mit den Begleiterscheinungen, das heißt, mich nutzlos zu fühlen und teilweise auch lächerlich. Aber ich bin eben neu und unerfahren und das ist ja auch irgendwie lustig…

Letztes Wochenende bin ich dann tatsächlich mal aus Kuppayanallur rausgekommen (mir ist auch beinahe die Decke auf den Kopf gefallen). Bis Freitag mittags dachte ich, ich verbringe wieder ein Wochenende hier ohne was von Indien richtig zu sehen, als mich der Superior sogar in meinem Zimmer suchte (wo ich zu dem Zeitpunkt nicht war) um mir mitzuteilen, dass es Samstag um fünf Uhr morgens los geht nach Chennai. Für ein Seminar über ignatianische Spiritualität und wie man ein spiritueller Führer wird auf – Tamil.

(inklusive Programm)

Und mir persönlich hat es wieder mal etwas gebracht. Ich habe sehr interessante Menschen kennen gelernt, wie den Philosophieprofessor Anand Amaladass, der sehr gut deutsch spricht, auch in Deutschland ein paar Bücher veröffentlicht hat und mit dem ich jetzt ein bisschen in Kontakt bin (da ich mich ja schon sehr für Philosophie interessiere). Abgesehen davon hat es mir wieder vor Augen geführt, warum ich hier bin. Ich bin nicht hier um mich Selbst zu verwirklichen, sondern tatsächlich um ein bisschen von dem Selbst los zu kommen und mich in der Welt zu verlieren. Und darüber haben wir auch viel gesprochen, zum Glück haben manche der Referenten auch ein paar englische Sätze unter gemischt, sodass ich manchmal bisschen verstanden habe. Für die Jesuiten spielt das ja ebenfalls eine große Rolle, die Transformation und der Weg von sich selbst in Gott (für mich formuliere ich es als Welt oder das Gute) als „sich selbst verlieren“ und im Prinzip ist es ja genau das, was ich auch mache. Ich verzichte auf vieles, was mir sehr wichtig ist, wie Sport und Freiheit, Freunde und Familie und auf Sicherheit und Ordnung in meinem Leben und lerne dem zu vertrauen, was kommt mit einer gesunden Gleichgültigkeit und den Perfektionismus an mich und mein Leben aufzugeben. Und deshalb auch den Druck, den ich mir mache, alles richtig zu machen, beziehungsweise außerordentlich. „The way you go, ist the best way“. Ich hadere noch mit dem Satz, aber er begleitet mich auf jeden Fall und lässt ein bisschen Druck aus der ganzen Sache raus.

Gestern, am Montag, war hier ein sehr großes Hindu-Fest, dem Vinayaka Chaturthi. Die Geburt von Ganesh wurde gefeiert (hier Vinayaka genannt), der „Herr der Hindernisse“ und Sohn der Götter Shiva und Parvathi einer der populärsten Götter im Hinduismus. An dem Tag dröhnte von überall her aus den Villages laute Musik und abends konnten ich und die Mädchen zum Glück auch einen Blick auf Vinayaka in Form des Elefanten von ganz weit weg sehen mit Feuerwerk und Lichtern, aber abgesehen davon und besonderen Süßigkeiten, bekommt man im christlichen Hostel nicht viel mit. Auch die hinduistischen Mädchen nicht. Statt wie alle anderen zu feiern, und das bekommt man dank dem Lärm sehr gut mit, obwohl wir hier ja doch recht abgeschieden sind, mussten die Mädchen sogar wie sonst immer samstags Rosenkranz beten (und das eine dreiviertel Stunde). Ich wollte den Umzug schon gerne sehen und dabei nur aus purer Neugier. Wie es den Mädchen dann geht kann ich mir gut vorstellen, allerdings wird hier eben mit großer Geduld akzeptiert, was einem vorgeschrieben wird.

Hier ein Bild von Vinayaka, dass ich am nächsten Tag in Uthiramerur („Outing“ mit den beiden Lehrerinnen) erhaschen konnte.

Was mir Anand Amaladass auch sehr Interessantes zum Unterschied zwischen Hindus und Christen sagte, war die Sicht auf die Konstante Geburt und Tod. Für die Christen macht sie das Leben bedeutungslos (Leben nach dem Tod), für die Hindus aber genau das Gegenteil (Wiedergeburt).

Und noch etwas wollte ich erzählen. Apropos kleine Welt. Im Gegensatz zu meinen Schwierigkeiten anfangs mit den größeren Mädchen, die aber mir immer weniger auf die Seele drücken und auch durchzogen sind von sehr schönen Momenten, komme ich mit den kleinen Grundschülern, die ebenfalls im Hostel sind super klar. Von Tiergeräuschen nachmachen, Reime singen und die Kinder durch die Luft wirbeln, ist alles dabei. Und das trotz mangelnder Kommunikation. Was sie allerdings sagen können ist „black“ und „white“ und dabei zeigen sie immer auf meine und ihre Haut und ziehen sehr lange, sehr traurige Gesichter. Einerseits tut es mir im Herzen weh, aber da bin ich so froh, in ihrer Welt zu sein und ihnen sagen und zeigen zu können, dass ich sie und ihre Haut schön finde und vielleicht schaff ich es ja auch, ihnen zu vermitteln, dass sie ihre Haut schätzen lernen.

Wer sich die Mühe gemacht hat, alles zu lesen, schreib mir gerne einen Kommentar, ich freu mich sehr eure Meinung, Anregung oder Fragen zu hören und ein bisschen das weiter zu geben, was mir passiert und mich beschäftigt. (Never forget: Ich seh die Welt durch meine Brille, Subjektivität)

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